NSU-Mordserie; warum ist die Ceska-Munition eigentlich nicht explodiert?

Frage an die Experten: Wie ist es eigentlich zu erklären, dass die in der Ceska 83 befindlichen Patronen (soweit wir wissen: eine im Patronenlager, 11 im Magazin) trotz der massiven Brandtemperaturen in der Zwickauer Wohnung nicht explodiert sind? Wie man verschiedenen öffentlich frei zugänglichen Online-Quellen bzw. Medienberichten zum NSU entnehmen kann, sollen die Griffschalen der Pistole durch die hohe Umgebungstemperatur ja teilweise angeschmolzen bzw. deformiert worden sein (was allerdings auf den Fotos der Tatwaffe auch wiederum nicht zweifelsfrei zu erkennen ist). Deren Material (mit einiger Sicherheit eine Hart-PVC-Mischung) hat einen durchschnittlichen Schmelzpunkt von über 180°C (Quelle: Wikipedia) – so heiß wäre es also demnach mindestens am Lagerort der Waffe gewesen. Verlässt man sich auf praktische ballistische Studien wie „Gunshot Wounds – Practical Aspects of Firearms, Ballistics, and Forensic Techniques“ (1999, Vincent J. M. Di Maio), kommt es je nach Kaliber bei Temperaturen zwischen 135°C (Kleinkaliber) bis 197,2°C (Flintenlaborierungen, Kaliber 12) zur Selbstzündung einer Revolver- oder Pistolenpatrone. Daten zum Kaliber 7,65mm Browning, dem Kaliber der Ceska, liefert das Werk nicht – aber beim vergleichbaren, wenn auch etwas größeren Kaliber .38 Special beträgt die kritische Temperatur laut Di Maio ca. 143°C. Es ist wohl davon auszugehen, dass bei dem 10-stündigen Wohnungsbrand deutlich höhere Temperaturen erreicht worden sind.

Doch viel entscheidender als die graue Theorie dürften die weiteren in Zwickau gefundenen NSU-Waffen sein: Bei mindestens drei der in der Wohnung gelagerten Schießeisen ist es ja wie man so liest während des Brandes tatsächlich zum hitzebedingten cook-off gekommen, konkret bei den von den Behörden mit W01 bis W03 durchnummerierten und in den Räumlichkeiten gefundenen Pistolen, darunter die RADOM VIS Mod. 35 (mutmaßlich die Mordwaffe im Fall Michèle Kiesewetter), sowie die Walther Mod. PP. Die in der Hitze geborstenen bzw. zersplitternden Patronenhülsen und Projektile ließen sogar die Griffschalen abplatzen; gleichzeitig lösten die im Patronenlager hochgehenden Treibladungen (der NSU hat die Waffen offensichtlich durchgeladen und vermutlich griffbereit aufbewahrt) den Repetiermechanismus (wenn auch unvollständig) aus, was durch die im Auswurffenster der Pistolen eingeklemmten Hülsen nahegelegt wird.

Nichts dergleichen bei der Ceska 83 SD. Die tschechische Waffe kommt Berichten zufolge mitsamt Schalldämpfer zwar verschmort, aber beschussfähig und mit 12 verwendbaren Patronen bei den zuständigen Stellen im BKA an.

Übrigens ebenfalls merkwürdig: Wie man so vernehmen kann soll das polizeiliche Auffindeprotokoll vom 9. November 2011  ja ausweisen, dass die Ceska ohne eingeführtes Magazin dem Brandschutt vor dem Haus entnommen wurde. Doch wann und wo wurde das Magazin mit den übrigen 11 Patronen eigentlich gefunden – am selben Tag, von derselben Person? Fotos des noch ungereinigten Magazins finden sich online (spontane Google-Recherche) keine. Die aufgefundene und verstaubte Waffe wird von den Beamten zunächst ohne eingeschobenes Magazin fotografiert; auf den diversen späteren Fotos, die Waffe und (eingeführtes) Magazin zeigen, handelt es sich um solche der gereinigten, jedenfalls entstaubten Ceska 83.

Warum aber sollte der NSU überhaupt die Waffe zwar durchgeladen und schussbereit, aber mit herausgenommenem Magazin gelagert haben?

-MR

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