Der Tote im Kornfeld: Ricky McCormick

Sein Vermächtnis sind zwei handbeschriebene Notizblätter mit Buchstaben- und Zahlenfolgen, von denen bis heute keiner so recht weiß, ob es sich wirklich um codierte Botschaften oder vielleicht doch nur um das Gekrakel eines delinquenten Analphabeten handelt. Nach Aussagen seiner Familie konnte der im Juni 1999 mutmaßlich ermordete RickyMcCormick aus St. Louis, Missouri, jedenfalls höchstens seinen eigenen Namen zu Papier bringen. Die Leiche des zum Todeszeitpunkt 41-jährigen entdeckte ein örtlicher Farmer wenige Tage nach dessen Verschwinden in einem Kornfeld in St. Charles County – einem berüchtigten „Leichenablageplatz“ örtlicher Schwerkrimineller. In den Hosentaschen des Toten fanden die Ermittler die beiden Zettel, die nach zwölf Jahren erfolgloser Ermittlungs- und Dechiffrierversuche schließlich im März 2011 als Scans auf der Website des FBI veröffentlicht wurden – verbunden mit dem Eingeständnis „we could use some help with this one.“

Hier die beiden Originalblätter, wie vom FBI veröffentlicht:

Genialer Code, Privatsprache eines möglicherweise Schizophrenen oder doch nur Spielerei mit Buchstaben – und einer Handvoll Zahlen? Dass bisher weder das FBI noch die Hobby-Codebreaker im Netz dem tieferen Sinn von McCormicks Aufzeichnungen endgültig auf die Schliche gekommen sind, hat vermutlich mehrere Ursachen:

  • Blatt 1 und 2 der Codes basieren möglicherweise auf unterschiedlichen Verschlüsselungsmethoden
  • Einige Zeichen sind nicht exakt definierbar, weil unleserlich geschrieben oder korrigiert; daher bestehen mehrere Textversionen (sicher)
  • Der Code ist nicht konsequent oder teils falsch angewendet, fehlerhafte Passagen erschweren die Entschlüsselung (möglich)

Fassen wir einige der wichtigsten Merkwürdigkeiten im Fall der McCormick-Codes zusammen:

1. Bausteine und Unikate. Eines fällt beim Betrachten vor allem bei Blatt 1 sofort auf. McCormick verwendet bestimmte Buchstabenkombinationen immer wieder – bei anderen Zeichenfolgen (und das gilt quantitativ für den Großteil der Texte) handelt es sich hingegen um Kombinationen, die entweder nur einmal vorkommen oder die bestenfalls ungefähre Ähnlichkeit mit anderen verwendeten Kombinationen haben. Bei den fixen Bausteinen handelt es sich auf Blatt 1 vor allem um die Kombinationen NCBE, PRSE und WLD. Hier der Text #1 mit Markierungen der meistverwendeten Kombinationen (grau und mit Fragezeichen markiert unsichere Zeichen, grün Zahlen):

mccormick1

Ebenfalls fällt auf: Die Bausteine WLD und NCBE stehen mehrfach direkt (oder fast direkt) nebeneinander – und zwar immer in dieser Reihenfolge (Zeilen 4, 5, 6, 7, 13, 14). NCBE steht außerdem fast immer entweder am Ende einer Zeile, als letztes Element vor einer sich öffnenden Klammer oder – wenn innerhalb der Klammer – dort als letztes Element.

Nur teilweise gilt dies auch für Blatt 2 (und PRSE taucht hier überhaupt nicht auf):

mccormick2

Naheliegend scheint zunächst, dass vor allem diese – und vielleicht nur diese – sich wiederholenden Bausteine (und das gilt auch für NSRE, MKSE und alle die anderen Vier-Zeichen-Buchstabenfolgen mit der Endung …SE) die relevanten Informationen bzw. Hinweise auf die letzten Aktivitäten/Bekanntschaften von McCormick enthalten – weil sie Bezeichnungen von wiederkehrenden Personen, Orten, Gegenständen bzw. Waren (McCormick hat laut Riverfront Times Jobs als Drogenkurier angenommen) sind.

Ins Extrem gedacht, könnte insbesondere bei Blatt 2 angenommen werden, dass große Teile des Textes redundant sind, weil nicht codiert, sondern zufällig eingestreut um die Dekodierbarkeit zu erschweren. Jedenfalls erscheint unwahrscheinlich, dass dasselbe Verschlüsselungssystem einige Worte in kurze, simple Kombinationen aus Großbuchstaben, andere hingegen in komplexe Kombinationen aus Buchstaben in Groß- und Kleinschrift, Zahlen (im Wortinneren) und Sonderzeichen (Bindestriche, Pluszeichen, Apostroph wie auf Blatt 1 usw.) übersetzt.

2. m oder M (McCormick)? Auf Blatt 2 findet sich das M fast immer eindeutig in Kleinschrift – auf Blatt 1 meist auch, dies ist dort aber im Gesamtbild weniger auffallend. Dies kann einem sich wandelnden bzw. von Variationen geprägten Schreibstil geschuldet, also irrelevant sein, oder aber ein Hinweis darauf, dass diesem Buchstaben – Anfangsbuchstabe des Nachnamens (M), Binnenkonsonant des Nachnamens (m) – beim Verfassen eine besondere Bedeutung zukam.

3. Zweierlei E. In McCormicks Notizblättern finden sich zwei Schreibweisen des Buchstabens E:

das-e-1
Variante 1
das-e-2
Variante 2

Die unterschiedlichen Stile des E betreffen auch die fixen Bausteine wie NCBE, bei denen der Vokal teils in der eckigen (Blatt 1, Zeile 3), teils in der rundlichen Variante (Blatt 1, Zeile 14) notiert ist. Mitunter finden sich beide Schreibweisen direkt nebeneinander, so wie in Zeile 1, Blatt 2 (… SE ER+E …). Eine klare Systematik ist indes nicht zu erkennen, insgesamt scheint die eckige Version 1 bzw. Mischformen häufiger in den Texten vorzukommen als die abgerundete – denkbar ist, dass Variante 2 für die schneller bzw. eiliger geschriebenen Passagen typischer ist, wirklich klar wird dies aus der Gesamterscheinung der beiden Notizblätter allerdings nicht.

4. Klartext oder Fast-Klartext? Auf Blatt 1 finden wir in Zeile 8 die Buchstabenfolge CURE; in Zeile 13 die Kombination SOLE, die auch in Blatt 2, Zeile 10 auftaucht – dort innerhalb von CNOSOLESOLE klingt phonetisch wie SOUL. Kombiniert man hier noch weiter kommt man also auf SOUL CURE, oder auf Deutsch: Seelenheilung. Wollte sich in den Notizen ein offensichtlich mental gestörter McCormick über Medikamente oder Therapien austauschen und hat die für ihn wichtigsten Begriffe mit Absicht im Klartext belassen?

5. Korrekturen und Kringel. McCormick hat auf beiden Blättern einige Buchstaben korrigiert, hatte sich also zunächst verschrieben und danach die Stelle ersetzt. Auf Blatt 1 finden sich diese Korrekturen an mindestens einer Stelle, wobei offen bleibt, welcher Buchstabe durch welchen anderen ersetzt wurde – Klärung könnte wohl nur eine Untersuchung der Originaldokumente verschaffen. In Zeile 1 wurde jedenfalls aus m ein A (oder umgekehrt); an drei Stellen wurde ein Buchstabe durch ein – oder (was wahrscheinlicher ist) durch einen Kringel ersetzt, also weggestrichen und aus dem Code entfernt. Diese Kringel finden sich auf Blatt 1 in den Zeilen 2 (Entfernung eines B?), 3 (hier stünde sonst ein Doppel-P) sowie Zeile 10 (Doppel-E korrigiert). Auf Blatt 2 wurde in Zeile 3 aus T ein R (wie immer gilt auch hier: oder umgekehrt), dann aus P ein T (oder D?; Zeile 5) sowie in Zeile 10 aus K ein C. Kringel bzw. Ausstreichungen lassen sich (möglicherweise) auf Blatt 2 in den Zeilen 13 und 15 entdecken.

Das „Wegkringeln“ liefert ein klares Indiz, dass McCormick genau wusste, was er tat –  also auch eigene Fehler beim Codieren/Niederschreiben der Codes sofort erkannte und ausbesserte.

6. 71, 74, 75. Häufig sind Zahlen auf Blatt 2, hier lassen sich insgesamt 16 ein-, zwei- oder dreistellige Ziffernkombinationen finden (Blatt 1: vier). Hier scheinen die Zahlen auch mit höherer Wahrscheinlichkeit Teil der Verschlüsselung zu sein, denn sie werden auch innerhalb von Buchstabenabfolgen verwendet (173R7RSE, Zeile 10). Auf Blatt 1 finden sich in drei Zeilen untereinander die Zahlen 71, 74, 75 (Hausnummern? Daten aus McCormicks Lebenslauf?); in der letzten Zeile die 194. Markant ist das 99.84.(5?) in Zeile 13, Blatt 2; das 99.8 lässt zunächst eine Radiofrequenz vermuten, allerdings scheint zumindest  in St. Louis keine Station auf dieser Wellenlänge zu funken.

7. Klammern und Einrückungen. Zur Strukturierung verwendet McCormick runde Klammern, zudem werden einige Zeilen nach rechts – auf Blatt 1 auch mehrfach und kaskadenartig – eingerückt. Interessant sind auf Blatt 2 auch die Umrahmungen, die fünf Abschnitte voneinander trennen und mit ziemlicher Sicherheit von oben nach unten vorgenommen wurden. Handelt es sich hierbei – wie bereits vermutet – um eine ToDo-Liste, die McCormick abgearbeitet hat? In diesem Falle wäre sein Job abgeschlossen gewesen, denn auch die letzte Zeile war umrahmt.

8. PI. Rechts oben auf Blatt 1 findet sich eingekreist das Kürzel PI, auf Blatt 2 fehlt dieses Textelement. Naheliegend wäre: private information oder personal information. Eine weitere Möglichkeit: parking (lot) level 1, dies würde man in den USA in dieser Form – also P1 (1 wie Groß-I geschrieben) – abkürzen. Es könnte sich bei der Abkürzung also auch um den Ort einer Übergabe bzw. eines geplanten Treffens handeln.

Fortsetzung folgt.

-MR

2 Kommentare

  1. Nach Sichtung aller Unterlagen bleibt festzuhalten, dass der „Analphabet“ Mc Cormick ohne jeden Zweifel grundlegende Kenntnis von der Sprache und gewissen Feinheiten der Sprache hatte. Es war ihm geläufig, die Sprache so zu nutzen, dass ihm eine gewisse Verschlüsselung leicht von der Hand ging. Mir scheint es daher angeraten, Mc Cormick eine Täuschung aller ihm nahestehenden Menschen zu unterstellen. Es mag ihm Vergnügen bereitet haben, eine gewisse kognitive Behinderung, eine Einfältigkeit oder auch eine Form des „langsamen Denkens“ vorzuspielen. Dieses Vergnügen mag, in seiner Ausprägung, diabolischer Natur gewesen sein. Mit Sicherheit verschlüsselte Mc Cormick Drogen relevante Schlüssel- und Basis-Wissens- Informationen jeglicher Art. In seiner Codierung finden sich die Namen der relevanten Schlüsselpersonen, die Orte der Übergabe der Drogen, die jeweils erzielten Erlöse und, vor allem auch, die jeweils auch für die Verdeckung erforderlichen Maßnahmen zur Übergabe einer problemfreien Abwicklung des Geschäftes. Ich denke, Mc Cormick hat sich, vor allem, durch die „Verbesserung“ verraten. Seine Verbesserung aller Fehler in den Texten zeigt auf, dass er „Herr aller Aufzeichnungen“ war. Diese „Kringel“ und „Ausbesserungen“ in den Texten 1 und 2 zeigen auf, dass er durchaus detailverliebter Genauigkeitsfanatiker war. Sein Sinn für die Exaktheit wird ihn, letztlich, sogar das Leben gekostet haben. Die Aufzeichnungen konnten dem Täter keinen Aufschluss geben, wurden daher beim Opfer belassen (obschon gesichtet!). Hätte man die Brisanz erkannt, so hätte man die Notizen nicht beim Opfer belassen. Ich gehe davon aus, dass einige Koordinaten und etliche Ortsangaben im Text versteckt sind, daneben Namen und Uhrzeiten. Außerdem gehe ich davon aus, dass exakte Mengenangaben der Drogen (Cannabis? Kokain?) und die zu erzielenden Gewinne durch den Transport enthalten sein dürften. Der Tankstellenbesitzer dürfte, mit ziemlicher Sicherheit, durch die Texte, „entlarvt“ werden. Als Drahtzieher, als Mittelsmann oder auch als „Big Boss“ des Drogenkartells im Hintergrund. Aber das sind Mutmaßungen. Sicher kann ich hier und jetzt feststellen: Mc Cormick war ein Hochstapler im „umgekehrten“ Sinn. Er stapelte tief. Er war hochintelligent, konnte sehr gut lesen, und, vor allem, auch schreiben, er besaß (zumindest) eine hohe emotionale Intelligenz, wenn nicht sogar eine hohe Intelligenz allgemein. Ihm war es möglich, alle Menschen im Umfeld zu täuschen (die Tante!), und es war ihm möglich, den Anschein eines „biederen“ Arbeitnehmers aufzubieten. Unter der Oberfläche aber, das ist für mich eindeutig, steckte ein durchtriebener, unruhiger, hoch intelligenter Geist mit krimineller Energie, die beeindruckend, imponierend und überraschend stark war. Ich könnte mir vorstellen, dass es Mc Cormick nicht nur um die Drogen ging. Es bereitete ihm Freude (diabolisch?), das Umfeld zu täuschen. Jede „Verrichtung“ in dieser Hinsicht gab ihm innere Stärke, bereitete ihm Vergnügen, machte ihn ein ganzes Stück „größer“. Er wurde letzten Ende ermordet, weil einer der Menschen aus dem Drogen-Umfeld ihn „durchschaut“ hatte. Irgendeiner hatte begriffen, wer Mc Cormick wirklich war: Ein gerissener und sehr intelligenter Scharlatan, der sein Umfeld zu manipulieren verstand. Er konnte natürlich nicht darüber sprechen, nach der Tat.

    Eines Tages werden die Zettel 1 und 2 dechiffriert. Ich selbst werde weiter versuchen, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Ich hoffe, mit meinen Hinweisen einen Teil dazu beitragen zu können, das Geheimnis zu lüften. Zum Schluss bleibt festzuhalten, dass dies eine tragische Geschichte ist: Ein Mensch verstarb! Und das gewaltsam. Wie Columbo schon sagte: Mord kann nicht toleriert werden!

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