Al-Assad und die Fassbomben – warum der Hype?

Es ist ja gut und richtig dass über den Scheißkrieg in Syrien/Irak und die dort pervertierenden Formen der Kriegsführung so intensiv und kritisch in den Medien berichtet wird. Aber bitte mit Sachverstand. Daher einige Bemerkungen und Einsprüche zum Aufreger-Thema Nummer 1: Baschar al-Assad und seine berüchtigten „Fassbomben“.

1. Konventionelle Bomben vs. Fassbomben. Die unmittelbare Wirkungsweise klassischer freifallender (oder eben auch moderner gelenkter) Spreng- und Splitterbomben wie sie seit dem 1. Weltkrieg bis zum aktuellen Bürgerkrieg in Syrien/Irak weltweit eingesetzt werden lässt sich mit einer einfachen Definition ungefähr so beschreiben: Metallfragmente unterschiedlicher Größe und Form werden nach der Detonation der Bombe am Boden (oder in Bodennähe) konzentrisch in alle Richtungen geschleudert; eine starke Druckwelle breitet sich übertragen durch die umgebende Luft mehr oder weniger gleichzeitig ebenso konzentrisch im Zielgebiet aus – gemeinsam bewirken beide Effekte die Schäden an Kriegsgerät, Befestigungen, Gebäuden usw. und führen die tödlichen Folgen für die im Wirkungsradius befindlichen Soldaten – oder natürlich auch Zivilisten – herbei. Betrachtet man also die rein technische Wirkung am Ziel, so trifft diese für konventionelle militärische Kampfmittel geltende Definition sehr weitgehend auch auf die sogenannten Fassbomben zu: Umher geschleuderte Metallteile (bzw. gesammelter Metallschrott) einerseits, eine mehr oder weniger massive Druckwelle andererseits. Das klingt manch einem Beobachter vielleicht zu nüchtern und unsentimental, ist aber objektiv einfach korrekt – jedenfalls sofern den Fassbomben bzw. deren Sprengsatz keine weiteren Zusatzstoffe wie brennbare Substanzen (Benzin o.ä.) oder die teils berichteten Chlorgase beigemischt werden. Ein relevanter technischer Unterschied wäre allein der, dass bei Fassbomben wegen ihrer zumeist wohl relativ dünnen Außenhaut (das gewalzte Metallblech des Fasses oder Metallrohrs bzw. was auch immer hier Verwendung findet) die zerstörerischen Effekte der gleichmäßigeren Druckwelle gegenüber der Splitterwirkung überproportional hoch sind – und die barrel bombs somit in ihrer Wirkung vielleicht der klassischen Luftmine ähnlicher sein könnten als der militärischen Sprengbombe. Fazit bis hierher: Moralische oder völkerrechtliche Einwände gegen einen Einsatz solcher improvisierter Bomben durch die Luftwaffe des Baschar al-Assad lassen sich jedenfalls aus Sicht eines Nicht-Experten nicht auf Basis der technischen Eigenschaften dieses Kampfmittels begründen.

An dieser Stelle könnte übrigens ergänzt werden, dass auch andere beteiligte Kriegsparteien in Irak oder Syrien nicht nur auf absolute High-Tech-Waffen wie Hellfire-Raketen usw. setzen, sondern nach wie vor auch auf traditionelle, freifallende Bomben mit einer den barrel bombs sehr vergleichbaren Wirkungsweise. Die U.S. Airforce setzt zum Beispiel über der Levante 500-Pfund-Sprengbomben des Typs Mk 82 ein – offiziell nachgerüstet mit GPS- bzw. laserbasierten Nachsteuerungssystemen, die die alte Koreakriegsbombe in die modernen (und teuren) guided bombs vom Typ GBU-38 bzw. GBU-54 verwandeln. Ob diese Systeme aber tatsächlich in jeder verwendeten Bombe verbaut werden ist angesichts der Vielzahl der Abwürfe fraglich (allein ca. 20.000 Bomben/Raketen wurden laut Presseberichten durch die USA verbraucht im Kampf gegen den Islamischen Staat/IS während der ersten 15 Monate der Auseinandersetzung, also allein bis Dezember 2015; Quelle hier). Doch mehr zur Frage der Zielgenauigkeit der Bombardierungen weiter unten.

2. Die UNO-Komission. Mit diesen Erkenntnissen wollen wir nun einen Blick in einige Berichte und Empfehlungen des von der UNO eingesetzten Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic werfen. Die Kommission hat vor allem in vier ihrer bisher neun Reports zur Lage in Syrien direkten Bezug auf das Thema Fassbomben genommen, deren Einsatz durch die syrische Luftwaffe bzw. Armee scharf kritisiert und den Stop der Abwürfe gefordert. Doch was genau wird hier eigentlich von der UNO kritisiert?

Wir lesen zum Beispiel im Report #4 (Download, PDF), veröffentlicht im Februar 2013:

The particular use of means and methods of warfare by the Government forces, namely the use of “barrel bombs” dropped from fighter jets at high altitudes, contributes to the indiscriminate nature of hostilities and amounts to serious violations of international humanitarian law.

Der Einwand der United Nations gegen den Einsatz billiger, improvisierter Bomben wird an dieser Stelle also nicht an deren spezifischer Funktionsweise oder Bauart festgemacht, sondern vielmehr an der Einsatzmethode durch die angreifenden Flugzeuge bzw. Hubschrauber – denn die Regierungstruppen unterschieden beim Gefecht nicht klar genug zwischen feindlichen Truppen und Zivilisten, argumentiert die UNO, was auch durch die Abwurfhöhe begründet wird, die keinen präzisen Einsatz dieser ungesteuerten Waffe ermöglicht.

Im Report #6 vom August 2013 (Download, PDF) wird ebenfalls vor allem der unpräzise Charakter der Fassbombenabwürfe kritisiert – vergleichbar mit der Wirkung von Aerosolbomben oder den ebenfalls berüchtigten „Cluster-Bomben“. Die Empfehlung an die Kriegspartei lautet:

Cease using imprecise weaponry, such as thermobaric bombs, cluster munitions, barrel bombs and others that are unguided or poorly guided, on civilian areas; …

UNO-Resolution 2139 (Link) stellt vergleichbare Forderungen auf.

Interessant und konkret aber wird es vor allem in Report #7, veröffentlicht Anfang 2014 (Download, PDF) – hier wird festgestellt:

There was a marked increase in the use of highly imprecise and lethal barrel bombs dropped into urban areas from helicopters at high altitudes. The use of barrel bombs in this manner is indiscriminate …

Heißt also auf Deutsch soviel wie: Der Einsatz von Fassbomben in dieser Weise – Abwurf aus großer Höhe durch Hubschrauber – lässt keine präzise Unterscheidung zu, was die Wirkung der Waffe im Zielgebiet angeht, d.h. zivile Opfer (die sogenannten „Kollateralschäden“) werden vökerrechtswidrig in Kauf genommen, wenn die Bombe in dieser Weise von der syrischen Luftwaffe eingesetzt wird.

Zur Veranschaulichung ein Video, das den Einsatz der Bomben aus großer Höhe zeigt:

Sehr ähnlich liest sich die relativ ausführliche Beschreibung im Annex VI des Reports #7 zum Thema barrel bombs – hier lautet die Einschränkung der UNO wörtlich „in this context“. Demnach bedeutet der Fassbombeneinsatz unter Umständen ein völkerrechtswidriges Flächenbombardement, wenn der Abwurf eben in einer bestimmten Weise erfolgt, die keine klare Unterscheidung („indiscriminate“) zwischen Kombattanten/Nicht-Kombattanten gestattet:

4. The use of barrel bombs, in this manner, is indiscriminate. In areas where armed group fighters were present, Government forces treated clearly separate and distinct military objectives located in densely populated areas with high concentrations of civilians, as a single military objective. The use of barrel bombs in this context amounts to ‘area bombardment’, prohibited under international humanitarian law.

3. Vorläufiges Fazit: Die geächtete Waffe? Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic macht ihre Kritik an der Fassbombe also in erster Linie an der Weise und Methodik ihrer – auf Kosten der Präzision gehenden – spezifischen Einsatzart fest, weniger an den teils verheerenden Auswirkungen am Boden – die sich wie oben unter Punkt 1 dargestellt in Sachen Spreng- und Zerstörungseffekt nicht wesentlich von denen deutlich modernerer und gelenkter Waffen, wie die USA oder Russland sie in Syrien/Irak verwenden, unterscheiden. Muss das heißen, dass sich die gefürchteten Fassbomben praktisch auch völkerrechtlich legal, sofern durch präzise Abwürfe außerhalb von Wohngebieten zwischen Kombattanten/Nicht-Kombattanten unterscheidend, einsetzen lassen?

-MR

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