Der Fall Uri Brodsky/Michael Bodenheimer – und ein vielleicht aufschlussreiches Interview …

Merkwürdiges Interview in einem merkwürdigen Fall, das Associated Press da mit dem Kölner Exstaatsanwalt Josef Rainer Wolf geführt hatte – und das seit einiger Zeit in einer längeren Version auf YouTube online steht. 

Zunächst zum Hintergrund. Wir erinnern uns: Ein mutmaßliches Spezialkommando des Mossad – das Team Caesarea – liquidiert am 19. Januar 2010 im Hotel Al Bustan Rotana in Dubai den Hamas-Waffenbeschaffer Mahmud Al-Mabhuh in dessen Hotelzimmer. Intensive Ermittlungen der Polizei der Emirate ergeben, dass insgesamt 26 oder möglicherweise sogar noch mehr Tatbeteiligte involviert sind, die unter verschiedensten teils erfundenen, teils gestohlenen Identitäten aus Ländern wie der Schweiz, Italien, Frankreich und auch Deutschland nach Dubai ein- und ausgereist waren. Zu Fahndungszwecken wird unter anderem folgende Übersicht der Reiserouten von den lokalen Behörden publiziert:

Unter den vermuteten Attentätern bzw. Helfern befand sich wie man sieht unter anderem auch ein Mann mit dem Alias „Michael Bodenheimer“. In den folgenden Monaten stellt sich heraus, dass dieser angebliche Herr Bodenheimer sich im Frühjahr 2009 beim Einwohnermeldeamt in Köln auf Basis falscher biographischer Angaben einen deutschen Pass auf eben diesen Namen organisiert hatte. Begleitet wurde Bodenheimer bei seinen Behördengängen von einem gewissen „Alexander Varin“, ein angeblicher Krisenberater, der beim Einchecken in einem Kölner Hotel allerdings eine andere Identität angibt: „Uri Brodsky“. Erst später wird klar: Varin und Brodsky sind Alias-Identitäten derselben – unbekannten – Person, offenbar handelt es sich um einen hochrangigen Logistiker. Für den illegal erworbenen Pass bzw. die Agententätigkeit wird die Person mit diesem Namen von Deutschland per europäischem Haftbefehl zur Fahndung ausgeschrieben. Details kann man im SPIEGEL nachlesen.

Diplomatisch heikel wird die ganze Angelegenheit erst, als Brodsky auf der Durchreise von Tel Aviv nach Vilnius am Flughafen Warschau am 4. Juni 2010 identifiziert und verhaftet wird. Israel versucht vehement die Auslieferung zu verhindern, auf die Deutschland angeblich so nachdrücklich drängt, wie damals von den Medien berichtet wird. Schließlich wird Brodsky zwar am 12. August 2010 ausgeliefert, aber formaljuristisch nur wegen des illegal beschafften Reisepasses (Juristendeutsch: „mittelbare Falschbeurkundung“), nicht wegen der geheimdienstlichen Tätigkeit. Damit wandert der Fall Brodsky/Bodenheimer von der Bundesanwaltschaft an die Kölner Justiz. Nach Hinterlassen einer Sicherheitsleistung von 100.000 Euro fliegt der Spion am Folgetag zurück in die Heimat.

Die spannende Frage ist, was wirklich in jenen Tagen hinter den politischen Kulissen los war in Berlin und Warschau. Waren die Pläne, Brodsky wegen Spionagetätigkeit (und indirekter Verwicklung in das Dubai-Attentat) nach Deutschland ausliefern zu lassen, dort anzuklagen und einen möglicherweise langwierigen, medial sicherlich aufsehenerregenden Prozess zu führen, wirklich ernst gemeint – oder die ganze Empörung doch nur Show und Kalkül? War die deutsche Regierung vielleicht nicht eher heilfroh, die „heiße Kartoffel“ Brodsky möglichst schnell und halbwegs diskret losgeworden zu sein – im Rahmen eines heimlichen Deals mit Polen und den anderen involvierten Staaten?

Vor diesem Hintergrund klingt es für unser Bauchgefühl irgendwie merkwürdig, wenn im AP-Interview unter anderem davon gesprochen wird ..

  • … man habe (ab 1:14) eine „Untersuchungshaftvermeidung“ diskutiert – ist das nicht eher ein Begriff aus dem Jugendstrafrecht? War Brodsky formal noch ein Heranwachsender? Und die Formulierung klingt einfach so wie: Mit welchen Mitteln können wir Haft vermeiden – wohlwissend, dass der (lästige?) Verdächtige vermutlich nach der Entlassung in Null-Komma-Nichts aus dem Wirkungsbereich der deutschen Justiz entschwinden wird.
  • … dass (ab 1:33) über irgend etwas „Stillschweigen vereinbart“ worden sei. Ja, über was denn? Dieser kurze Soundbite ist nicht Gegenstand des eigentlichen Interviews, er klingt mehr nach off-the-record und ist vielleicht gerade deswegen interessant.
  • … und dass man (ab 1:58) nach Zahlung der Sicherheitsleistung „in die Lage versetzt“ worden sei, Brodsky aus der U-Haft zu entlassen – was ja nun auch irgendwie nach „Erleichterung“ klingt – zumindest aber wesentlich anders als „da mussten wir ihn freilassen“ oder „sahen uns nach Abwägung der Umstände veranlasst, Brodsky freizulassen …“

Es ist alles irgendwie etwas unklar und für uns als Nicht-Juristen auch schwer zu bewerten. Jedenfalls verdient dieses Interview sicherlich mehr als die kümmerlichen 41 Views auf YouTube (Stand: 02-12-2018):

https://www.youtube.com/watch?v=MReY5Wi4xIs

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