YOGTZE revisited

Ein Mann hat Angst  – „unwahrscheinliche Angst“. Er ist sich sicher: „Die Nacht passiert noch was, was ganz fürchterliches“.

Der von Todesängsten geplagte und in der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober 1984 unter mehr als mysteriösen Umständen Verstorbene heißt Günter Stoll. Der Siegerländer ist seit nunmehr fast 30 Jahren eine der Kultfiguren vieler Fans von Aktenzeichen XY Ungelöst, der TV-Sendung, die sich einem der skurrilsten Kriminalfälle der Achtziger in der Sendung vom 12. April 1985 in einem 15-minütigen Filmchen widmete – ohne aber letztlich viel Licht ins Dunkel zu bringen, trotz vieler Zuschauerhinweise. Zahllos die Threads in Internetforen, in denen die mysteriösen nächtlichen Vorkommnisse auf und neben der Autobahn A45 – vor allem unter Brummifahrern als Sauerlandlinie bekannt – zwischen Dillenburg und Hagen bis heute diskutiert werden.

Lässt sich der Fall Günter Stoll nach drei Jahrzehnten überhaupt noch durch frische Ideen und Hypothesen – oder seien wir ehrlich: wüste Spekulationen – bereichern? Versuchen wir es mit einigen neuen Perspektiven:

1. Der Fundort. „Kurz vor der Ausfahrt Hagen-Süd“ sei der nackte Günter Stoll von den beiden LKW-Fahrern in seinem beschädigten VW Golf neben der Fahrbahn gefunden worden, erläutert Moderator Eduard Zimmermann in der Fahndungssendung vom 12. April 1985 (Folge 174). Kurz darauf blendet die Regie den Ausschnitt einer Straßenkarte des Sauerlands und des östlichen Ruhrgebiets ein, auf der die Positionen der Stadt Hagen, der Ausfahrt Hagen-Süd sowie die des Fundorts auf der A45 mit roten Punkten markiert sind. Schauen wir einmal genauer hin. Vorausgesetzt, die Markierungen sind vom ZDF-Team korrekt gesetzt, dann befindet sich der Fundort Stolls keineswegs unmittelbar vor der Ausfahrt, sondern mehr oder weniger auf halber Strecke zwischen Lüdenscheid-Nord und Hagen-Süd (Distanz auf der BAB: 14 Kilometer) – und damit ungefähr 6-8 Kilometer vor der Hagener Ausfahrt. Demnach wäre Stoll ungefähr im Bereich der Dörfchen Rölvede (links der Fahrbahn) und Winkeln (rechts der Fahrbahn) aufgefunden worden (siehe Kartenausschnitte). Welche Örtlichkeiten gibt es in diesem Abschnitt der A45? Hatte Stoll Gründe hier anzuhalten – und wurde ihm in diesem Bereich der Autobahn eine nächtliche Begegnung zum tödlichen Verhängnis?

Der Rastplatz „Rehweg“ fällt zunächst auf (Punkt A). Hinweise, dass Stoll hier gehalten haben könnte, liefern allerdings weder XY noch die online verfügbaren Zeitungsberichte. Immerhin: Der Siegerländer muss sich irgendwo auf der A45 seiner Kleidung entledigt und diese auf der Rückbank abgelegt haben. Während der Fahrt dürfte dies schwerlich möglich sein – also musste er dazu anhalten. Hat Stoll möglicherweise genau hier einen Zwischenstopp eingelegt? Falls ja, was ist hier passiert?

Eine weitere Möglichkeit auf der Sauerlandlinie in nördlicher Fahrtrichtung anzuhalten – und unter Umständen ein Schauplatz von Ereignissen, die den Unfall Stolls oder dessen merkwürdiges Verhalten erklären könnten – befindet sich nur einige hundert Meter hinter dem „Rehweg“. Die sogenannte Kleinraststätte „Kaltenborn“ (Raststätte ohne Tankstelle; Punkt B – gegenüber der „Rölveder Mühle“) wurde und wird noch heute vor allem von Truckern angesteuert, die hier oft auch über Nacht parken. Ist Stoll hier wie schon Stunden zuvor im „Papillon“ auf ein Bier eingekehrt – und hatte er wieder einen kurzen Blackout, der dann die tragischen Ereignisse nach sich zog? Sind hier Personen in Stolls Golf zugestiegen – unter welchen Umständen auch immer? Jedenfalls ist „Kaltenborn“ die vorletzte Möglichkeit, vor der Abfahrt Hagen-Süd auf der A45 anzuhalten – danach folgt nur noch der Rastplatz „Brunsbecke“, der sich allerdings – auch hier gilt: sofern die XY-Markierungen zutreffen – hinter dem Fundort befindet.

2. Die Holland-Story. Bestanden tatsächlich „Kontakte zur Rauschgiftszene“? Wie Oberkommissar Leppler von der Kripo Hagen im XY-Studio erläutert, könnte Stoll in Holland „Leute kennengelernt haben, die auf diesem Gebiete eine gewisse Vergangenheit haben“  – was wohl während mehrerer Urlaubsbesuche im Jahr 1984 möglich gewesen wäre, wie der Zuschauer erfährt. Falls Stoll tatsächlich die Absicht hatte, in der fraglichen Nacht in die Niederlande zu fahren (möglicherweise um vor Ort etwas ins Reine zu bringen, nach dem Motto: sich der Bedrohung stellen statt sich von ihr einholen zu lassen) wären zwei Routen in Frage gekommen: Über Köln (A4) – oder eben über die A45 und das Ruhrgebiet.

Unter Umständen liegt sogar der Schlüssel zum Verständnis der Buchstabenkombination YOGTZE in den Niederlanden bzw. in Assoziationen Stolls, die mit seinen Aufenthalten im Benelux-Staat zu tun haben.

YOG’TZE … klingt das nicht so ähnlich wie: Wijtze, Wytze, Wytske? Zimmermann buchstabiert irrtümlich: Y-J-G-T-Z-E. Es gibt noch mehr Varianten dieses holländischen Vornamens, den vielleicht auch eine von Stolls Bekanntschaften aus den Niederlanden getragen haben könnte. Hat er sich am Abend des 25. Oktobers am eine bedeutsame Begegnung erinnert, nicht aber an den Namen – den er nur phonetisch und bruchstückhaft wiedergeben/aufschreiben konnte?

3. Hitzewallungen. hot flashes nennt man in den USA spontane, aber heftige Hitzeempfindungen, die ein Resultat bestimmter Medikationen sein können – zum Beispiel solcher, die gegen seelische Leiden eingesetzt werden, die mit Paranoia, d.h. Verfolgungswahn einhergehen (Info zu Schizophrenie). Würde sich ein Betroffener wegen eines hot flashes die Kleider vom Leib reißen um sich „abzukühlen“? Welche Konsequenzen hätte ein Krampfanfall, wie er laut Ärzten auf eine solche Hitzewallung folgen kann, für einen Fahrzeugführer? Dass Stoll allerdings unter Medikation stand, scheint angesichts seines Alkoholkonsums an diesem Abend unwahrscheinlich – denn die unangenehmen Wechselwirkungen wären dem Anzhausener sicherlich bekannt gewesen. Und auch seine Frau hätte ihm sicherlich ins Gewissen geredet, als er gestresst ankündigte: „Ich fahr‘ noch mal ein Bier trinken, ins Papillon.“

-MR

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