NSU-Mordserie; die mysteriöse Patrone am Tatort Hamburg

Vielleicht lassen sich der Verwirrung um die vom NSU benutzten Waffen und Munitionstypen noch einige skurrile Details hinzufügen. Wer sich das berüchtigte Paulchen-Panther-„Bekennervideo“ mal aufmerksam angeschaut hat, wird sich möglicherweise über die einzelne Patrone (oder Patronenhülse) gewundert haben, die ab Minute 8:08 ins Bild kommt. Die an dieser Stelle ins Video einkopierten Filmschnipselchen, die sich auf den dritten Mord der Serie, begangen am 27. Juni 2001 in Hamburg-Bahrenberg, beziehen, haben die Rechtsterroristen vermutlich einer Reportage im Regional- oder Privatfernsehen entnommen, genau zu erkennen ist dies nicht. Jedenfalls ist die Kamera des TV-Teams kurz auf das auf dem Bürgersteig liegende Objekt eingezoomt, so dass einige Einzelheiten erkennbar werden.

Hier ein Screenshot aus dem Video (Quelle: YouTube):

pink_patrone-nsu

 

 

 

 

 

 

 

Was fällt – trotz der verwaschenen Bildqualität – auf? Wichtig für die Bestimmung der Munition bzw. der Umstände könnten vier Details sein:

(1.) Die Patronenhülse erscheint relativ kurz – zu kurz für eine Patrone, wie sie typischerweise aus Pistolen verschossen wird. Dies spricht also dafür, dass es sich um eine Revolverpatrone handelt (FYI: Nur ein Revolver könnte auch derart kurze Patronen zuverlässig laden und verschießen) – allerdings vermutlich nicht um eine scharfe Patrone, sondern eher um eine Knall-, Schreckschuss oder CS-Patrone. Diese Dinger sehen ungefähr so aus (ähnliches Fabrikat im Kaliber 9mm):

9mm-schreckschuss3

 

 

 

 

(2.) Es ist im Video auch im Standbild schwer zu erkennen, aber die Patrone scheint am Boden einen überstehenden Rand zu haben – auch dies ein klarer Hinweis auf eine Revolverpatrone.

(3.) Noch schwieriger zu erkennen: Das Zündhütchen scheint eingeschlagen zu sein, demnach wäre die Patrone also abgefeuert worden.

(4.) Die Patrone/Hülse liegt vor dem Geschäft – der Mord aber wurde im Verkaufsraum begangen, in dem auch Hülsen der Tatwaffen gefunden wurden.

Wirklich spannend wird die ganze Sache allerdings erst dann, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die mutmaßlichen Täter, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, nach Erkenntnissen der Ermittler den Mord am Hamburger Obst- und Gemüsehändler mit zwei Pistolen begangen hatten, konkret mit der Česká 83 im Kaliber 7,65mm Browning (.32 ACP) sowie einer Waffe des Fabrikats Bruni 315 im Kaliber 6,35mm Browning (.25 ACP). Von Revolvern bei der Tatausübung in der Hansestadt ist bisher nichts berichtet worden – allerdings soll der NSU bei Banküberfällen 2004 und 2006 einen Revolver (nach unterschiedlichen Quellen Alfa-Proj, Kaliber 38 oder Melcher ME900SA) verwendet haben, wie auch Mitschnitte der Videokameras zeigen.

Noch spannender wird es natürlich, wenn man sich fragt, warum der „Nationalsozialistische Untergrund“ die TV-Szene mit der vor dem Laden liegenden Hülse überhaupt in das Video einkopiert hat. Die gesamte Sequenz dauert immerhin 5 Sekunden – wenn die Patrone/Hülse für die Täter komplett bedeutungslos gewesen wäre, hätten diese die Szene nicht in den Film aufgenommen – logisch, oder? Den Spekulationen sind keine Grenzen gesetzt: Gab es einen dritten Tatbeteiligten, der nur mit Platzpatronen schießen durfte oder wollte? Wurde das Opfer bereits vor dem Tatzeitpunkt mit Platzpatronenschüssen bedroht? Oder gab es einen Schusswechsel draußen auf der Straße – wenn ja, mit wem?

Vielleicht lag die Hülse auch nur zufällig vor dem Ladengeschäft auf dem Betonpflaster (wie die ganze Causa NSU ja reich an den unglaublichsten Zufällen ist), allerdings zeigt der von der Polizei um den Fundort der Hülse gezeichnete weiße Kreidekreis (im Video sichtbar), dass diese zumindest zu Beginn der Ermittlungen für eventuell tatrelevant gehalten wurde.

Nebenbei bemerkt: Die bei der Tatausübung in Hamburg ausgeworfene Česká-Hülse wurde später nie aufgefunden; damit gab es beim dritten Mord also eine Hülse zu wenig – und offensichtlich eine zuviel.

-MR

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